Christian Thomasius

Christian Thomasius wurde am 1. Januar 1655 in Leipzig als Sohn eines Gelehrten geboren.

Er wurde im Sinne der sächsisch-lutherischen Orthodoxie erzogen und in der aristotelischen Philosophie unterrichtet. Thomasius studierte an der Universität Leipzig von 1669 bis 1672 Philosophie. Nach dem erfolgreichen Ablegen der Magisterprüfung studierte er in Frankfurt an der Oder Jura. 1679 erwarb er den Doktortitel für weltliches und kirchliches Recht und wurde 1680 Rechtsanwalt in seiner Vaterstadt. Dort heiratete er in dem selben Jahr. Ab 1681 hielt Thomasius zusätzlich Vorlesungen an der Universität, wobei er sich dafür am 31.Oktober 1687 zum ersten Mal der deutschen Sprache bediente. Zur selben Zeit gründete er die erste Gelehrtenzeitung, die monatlich auf Deutsch erschien. Dadurch wurde er zum Gründer des deutschen Journalismus.   

1682 sprach sich Thomasius in einem seiner ersten Werke für die Trennung von Kirche und Staat aus. Er setzte sich außerdem für die Trennung von Naturrecht und Theologie ein. Dadurch wurde die Rechtslehre von Gott aus der des weltlichen Rechts herausgenommen.   

Er engagierte sich im Kampf für geistige Freiheit und eigenverantwortliche Urteile. Dies führte dazu, dass Thomasius sich intensiv mit der Prüfung verbreiteter Vorurteile beschäftigte. Er lehnte jeglichen Aberglauben und Mystizismus  ebenso wie extremen Obrigkeitsglauben ab. Darüber hinaus kämpfte er für Toleranz und die Abschaffung der Folter zur Zeit der Hexenprozesse. Nachdem er sich zuvor für die „mildeste Form der Folter“1 aussprach, erhielt er hierfür scharfe Kritik durch seine Kollegen. Daraufhin betrieb er umfangreiche Studien zur Rechtslage der Hexenprozesse. In den Jahren 1703, 1712 und 1723  kämpfte er entschieden gegen die Hexenprozesse, deren Abschaffung er daraufhin erreichte.      

 

Thomasius verlangte eine Verfassung, die auf der Vernunft beruhen sollte. Nach seiner Auffassung sollte der Staat an den Belangen des Volkes orientiert sein.   

Nachdem Thomasius 1690 das Verbot erhielt, Vorlesungen zu halten und Veröffentlichungen zu tätigen, verließ er Leipzig und zog nach Halle, wohin Friedrich III. ihn gerufen hatte, um einen neu geschaffenen Lehrstuhl zu besetzen.

1694 beteiligte er sich an der Gründung der Universität in Halle.

Während des „Halleschen Decorum-Streites“2 kam es zur Eskalation der verschiedenen Auffassungen der Theologie, so dass Thomasius einen Befehl des Königs erhielt, sich auf Jura-Veröffentlichungen zu beschränken. Einige Jahre später wurde er zum Direktor der Universität und 1710 Ordinarius.  

Thomasius wirkte als Jurist, Philosoph und Universitätsprofessor.

Er war einer der bedeutsamen Vorreiter der Aufklärung. Seine kritischen Gedanken und auf der Vernunft beruhenden Anregungen zur Abschaffung des Aberglaubens und der Obrigkeitsorientierung waren besonders bedeutsam. Er konzentrierte sich auf die Verknüpfung seiner Theorien mit der praktischen Umsetzung.

Thomasius verfasste insgesamt um die 300 Werke, darunter „Institutionis jurisprudentiae divine“ von 1687, „Fundamenta juris naturae et gentium“

von 1705, „Vernünftige und christliche, aber nicht scheinheilige Gedanken und Erinnerungen über allerhand gemischte philosophische und juristische Händel“ in 3 Bänden aus der Zeit von 1723 bis 1725 und die „Historie der Weisheit und Torheit“ in 3 Teilen aus dem Jahr 1693.

Nach einem Dasein, in dem er den gehobenen Lebensstil pflegte, verstarb Thomasius am 23. September 1728 in Halle an der Saale.

Helen Achinger

Christian Thomasius, Einleitung zu der Vernunft-Lehre. Vorrede (Auszug)

Zu der einen Stunde dieses Collegii werde ich jederman zulassen / er sey arm oder reich / mitlern oder grossen Vermögens / der numerus mag seyn so wenig oder so groß als er will / weil ich in derselbigen bloß zu discuriren gesonnen bin. Ich werde für diese Stunde durchgehends ein billiges / und zwischen denen Hohen und Niedrigen temperirtes honorarium fordern; mit denenjenigen aber / die so unvermögend sind / daß sie solches nicht geben können / werde ich nicht anfangen zu handeln / oder quid pro quo zu nehmen / sondern wenn sie mir dieses ihr Unvermögen / wie nöthig / bescheinigen werden / will ich sie für arm paßiren / und ihnen mein collegium umsonst zu besuchen zulassen. [. . .]

So habe ich auch meine vielfältige und bedenckliche Ursachen / warum ich diese meine Philosophie und Lehre in Teutscher Sprache heraus gehen lasse / unter welchen eine von denen vornehmsten ist / daß ich in der That erweisen mögen / daß die Sprache und derer Wissenschaft zwar ein wesentliches Stücke sey / die jenigen die in andern Sprachen geschrieben zu verstehen / und in Sachen / die von der autorität einer gewissen Schrifft dependiren / nicht wohl unterlassen werden solte / dergleichen ich doch hier zu tractiren nicht vorhabens bin; aber daß in Sachen die

durch die allen nationen auff gemeine Art eingepflantzte Vernunfft erkennet werden / die Erkäntniß ausländischer Sprachen gar nicht von nöthen sey. Die Weltweißheit ist so leichte / daß dieselbige von allen Leuten / sie mögen seyn / von was für Stande oder Geschlecht sie wollen / begriffen werden kan. So schrieben auch nicht die Griechischen Philosophi Hebræisch / noch die Römischen Griechisch; sondern ein jeder gebraucht sich seiner Mutter‑Sprache. Die Frantzosen wissen sich dieses Vortheils heut zu Tage sehr wohl zu bedienen. Warum sollen denn wir Teutschen

stetswährend von andern uns wegen dieses Vortheils auslachen lassen / als ob die Philosophie und Gelahrheit nicht in unserer Sprache vorgetragen werden könte. [...]

Es ist aber nichts desto weniger auch nicht zu leugnen / das unterschiedene Kunst-Wörter in Teutsche Sprache übersetzt / und durch öfftern Gebrauch Geleheter Leute in schwang gebracht worden / derer man sich zu schämen heut zu Tage nicht fernere Ursache hat. Dannenhero muß man hierinnen seinen natürlichen Verstand brauchen / daß man die Mittel‑Strasse gehe / und weder allzusehr affectire

/ ausländische Wörter in eine Sprache zu mischen / noch auch alle Kunst‑Wörter in die Sprache / darinnen man schreibet / seine vornehmste Richtschnur seyn. Dannenhero / gleichwie ich mich nicht entbrechen werde / zuweilen von dem Selbständigen Wesen / von dem Gegenstand eines Dinges / von dem Stoff desselbigen und so weiter zu reden; Also werde ich mich doch vielleicht öffters der Substanz, des Objecti der materie u. s .w. bedienen; aber niemahls werde ich Unterlage an statt Subjecti, oder die Zeuge-Mutter aller Dinge / an statt Natur brauchen.

Bei der Vorrede zu der „Einleitung zu der Vernunfts-Lehre“ handelt es sich um eine Ausformulierung der Gedanken zu der Handhabung der Besucherbedingungen für sein Kollegium. Des weiteren behandelt Thomasius in dieser Schrift die Rolle der Sprache in direktem Zusammenhang mit der Bedeutung von Abhandlungen.

In dem ersten Absatz der Vorrede betont Thomasius, dass Reichtum und Stand der Mitglieder des Kollegiums von untergeordneter Bedeutung sind. Er konzentriert sein Interesse auf den Gedanken- und Erkenntnisaustausch. Aus diesem Grunde erhebt er nur einen geringen, allgemeingültigen Beitrag, der sich an den finanziellen Möglichkeiten der armen und reichen Mitglieder orientiert. Den Menschen, denen diese Beitrage aus wegen ihres materiellen Unvermögens nicht möglich ist, erlässt er die finanziellen Abgaben, soweit ihre Armut nachweisbar.

Thomasius handelt in Bezug auf diese Regelung sowohl fortschrittlich als auch moralisch beachtenswert. In seinem Verhalten ist seine Theorie des Kampfes gegen Intoleranz und Ausgrenzung praktisch umgesetzt. Die Durchführbarkeit eines sozialen, vernunftorientierten Handelns ist hiermit bewiesen.

In dem Mittelteil seines Textes befasst sich Thomasius mit der Bedeutung der verwendeten Sprache für ein wissenschaftliches Werk zu einem bestimmten Thema anhand des Beispiels seiner eigenen Abhandlungen.

 

Er erkennt, dass die Verwendung bestimmter Sprachen durchaus eine Aufwertung der Schrift verursachen kann und versucht dies weder zu leugnen noch in irgendeiner Weise abzuwerten. Jedoch stellt er die These auf, dass es in einigen Fällen förderlich ist, die Werke sprachunabhängig zu gestalten, damit sie jedem Menschen verständlich und zugänglich sind.    

Für die Abhandlungen und Theorien der Vernunft, welche als Weltweisheiten an sich durchaus einleuchtend wären, sei es im Besonderen wichtig, dass alle Menschen sie ohne Standes- und Geschlechtsunterschiede verstünden, zumal es keine Schwierigkeiten bereite, die Vorlesungen und Schriftstücke in deutscher Sprache zu halten. In diesem Zusammenhang verweist Thomasius auf die großen Vorbilder der Griechen und Römer auf dem Gebiet der Philosophie, welche ihre Erkenntnisse ebenfalls in ihrer landesüblichen Sprache verfassten. Dazu führt er aus, dass ein Kompromiss zwischen überzogen-fremdwortreicher und theoretisch-eingedeutschter Form nach eigenem Ermessen des Verhältnisses möglich und erstrebenswert ist.

Thomasius erweist sich damit nicht nur als einer der ersten Schriftsteller, die ihre Werke in deutscher Sprache verfassen und veröffentlichen, sondern trägt darüber hinaus dazu bei, seine Gründe und Erklärungen einem breiten Publikum zugänglich zu machen.

Helen Achinger

 

Anmerkungen der Herausgeber desNachdrucks:

1 Christian Thomasius, Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon,  www.bautz.de/bbkl/t/thomasius_c.shtml

2 Studio für alte deutsche Literatur: Aufklärung – Autoren – Christian Thomasius

www.ni.schule.de/~pohl/literatur/sadl/aufklaer/thomasius.htm