Aussprechen, was viele denken: Verschlüsselte Kritik in der Satire

Die erfolgreichste Form der Verbreitung der Aufklärung durch Lehrdichtung ist die Satire. Was Gottsched  als Strafgedichte bezeichnete, verzichtet im Gegensatz zur Fabel auf moralische Merksätze, und so muss der Leser selbst die strafwürdige Verfehlung, die dargestellt wird, erkennen. Die Satire regt aufgeklärtes Denken an, da das Verständnis der Satire dem Urteilsvermögen der Leser überlassen bleibt.

Die Satire kann allerdings wegen der Zensur nicht uneingeschränkt Kritik üben. Es wird vermieden, konkrete Personen und Geschehnisse anzugreifen, und sowohl Obrigkeit als auch Kirche dürfen in Satiren nicht kritisiert werden.

 

 

Gottlieb Wilhelm Rabener

 

 

Der Satiriker Rabener, der nunmehr in seinem 57. Lebensjahre steht, wählte für seine Werke also nur Allgemeines und Unverfängliches, um nicht selbst zum Objekt von Kritik zu werden, denn die kirchliche Obrigkeit greift die Satire häufig an. Wir drucken ein bereits vor mehr als 20 Jahren entstandenes Beispiel seines Witzes ab, das auch heute noch den Lasterhaften zur Besserung dienen kann.

Wie die Fabel besitzt auch die Satire eine Form, die erst Entschlüsselung durch den Leser erfordert. Hauptmittel der Satire ist die ironische Darstellung, durch die Mißstände entlarvt und der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Das ermöglicht dem Leser, zu erkennen was der Autor als richtig ansieht und welche Werte er vertritt. Neben Vers- und Prosatexten existieren auch vereinzelt satirische Schauspiele und Romane, von denen letztere eine lange Tradition haben.

Die Beliebtheit der Satire erklärt sich nicht zuletzt dadurch, daß ausgeprochen wird, was viele denken, jedoch aus Rücksichtnahme auf ihre Stellung oder auch aus Furcht vor dem strafenden Eingreifen der Obrigkeit sich nicht zu sagen getrauen. Viele Leser ziehen Genugtuung daraus, daß sie mit dem Autor gleicher Meinung sind, und viele fühlen sich auch entlastet, weil die von ihnen erkannten Mißstände endlich bekannt gemacht werden. Gleichzeitig wirkt die Satire aber auch heilsam bei denjenigen, die bislang nicht erkannt haben, wie nichtswürdig ihr eigenes Verhalten ist. Sie sehen den Spott, der über Untugenden ausgegossen wird, und die Lächerlichkeit des Fehlerhaften. Wer aber möchte schon gerne zum Gespött seiner Bekannten werden? Wer möchte insgeheim ausgelacht werden? So wird der Fehlende versuchen, sich der Tugenden  zu befleißigen, um dieser Gefahr zu begehen.

Angesichts dieser heilsamen Wirkung für unsere Tugendhaftigkeit nimmt es wunder, daß die Zensur so häufig eingreift und Verbote ausspricht. Denn auch unsere Obrigkeiten, die hohen Herren  und Kirchenmänner sind nicht davor gefeit, unkluge Entscheidungen zu treffen oder einem Laster zu frönen. Es wäre besser, die erfundenen Spottgeschichten zu erlauben, als in der Wirklichkeit  die Lasterhaftigkeit und Unvernunft fortzusetzen.

Teresa Bücker

Gottlieb Wilhelm Rabener, Eidschwur

aus dem "Versuch eines deutschen Wörterbuches", entstanden 1746

In den alten Zeiten kam dieses Wort nicht oft vor, und daher geschah es auch, daß unsre ungesitteten Vorfahren, die einfältigen Deutschen, glaubten, ein Eidschwur sey etwas sehr wichtiges. Heut zu Tage hat man dieses schon besser eingesehen, und ie häufiger dieses Wort so wohl vor Gerichte, als im gemeinen Leben, vorkömmt, desto weniger will es sagen.

Einen Eid ablegen, ist bey Leuten, die etwas weiter denken, als der gemeine Pöbel, gemeiniglich nichts anders, als eine gewisse Cäremonie, da man aufrechts steht, die Finger in die Höhe reckt, den Huth unter dem Arme hält, und etwas verspricht, oder betheuert, daß man nicht länger hält, als bis man den Huth wieder aufsetzt. Mit einem Worte, es ist ein Compliment, das man Gott macht. Was aber ein Compliment sey, davon siehe Compliment!

Etwas eidlich versichern, heißt an vielen Orten so viel, als eine Lügen recht wahrscheinlich machen.

Van Höken, in seinem allezeit fertigen Juristen nennt den Eid, herbam betomcam, und versichert, einem den Eid deferieren4 sey nichts anders, als seinem klagenden Clienten die Sache muthwillig verspielen, und die Formel, sich mit einem Eide reinigen, heiße so viel, als den Proceß gewinnen, denn zu einem Reinigungseide gehöre weiter nichts, als drey gesunde Finger, und ein Mann ohne Gewissen. Jene hätten fast alle Menschen, und dieses die wenigsten. Und wenn auch ja jemand von den Vorurtheilen der Jugend eingenommen wäre, und ein so genanntes Gewissen hätte, so würde es doch nirgendwo an solchen Advocaten fehlen, welche ihn eines bessern belehrten, und für ein billiges Geld aus seinem Irrthume helfen könnten. (...)

Gott straf mich! oder Der Teufel zerreiße mich! ist bey Matrosen, und Musketieren eine Art eines galanten Scherzes, und in Pommern lernte ich einen jungen Officier kennen, der schwur auch so, doch schwur er niemals geringer, als wenigstens bey tausend Teufeln, weil er von altem Adel war. (...)

Seinen Eid brechen, will nicht viel sagen, und wird diese Redensart nicht sehr gebraucht. Auf der Kanzel hört man sie noch manchmal, aber eben daher kömmt es, daß sie so geschwind vergessen wird, als die Predigt selbst. In der That bedeutet es auch mehr nicht, als die Ehe brechen. Und um deswillen ist ein Ehebrecher, und ein Meyneidiger an verschiednen Orten, besonders in großen Städten, so viel als ein Mann, der zu leben weis. Diese Bedeutung fängt auch schon an, in kleinen Orten bekannt zu werden, denn unsre Deutsche werden alle Tage witziger, und in kurzem werden wir es den Franzosen beynahe gleich thun.

 

Deutung

Rabener klagt über den Mißbrauch von Eiden und den Betrug, der mit ihnen getrieben wird. Er stellt dar, daß Redewendungen wie "einen Eid ablegen", "den Eid brechen" oder gar "die Ehe brechen" ihren Sinn verloren haben und nur noch floskelhaft gebraucht werden, so daß die Sprache die Lasterhaftigkeit des Menschen verschleiert. Ähnlich sei es - und da wird die versteckte Kritik an der Kirche, die dieser natürlich mißfällt, deutlich - mit den Predigten der Kirchenmänner. Auch sie bedienen sich einer Sprache, die dem gewandelten Alltag der Menschen

 

nicht mehr gerecht wird, so daß ihre Worte nur zu häufig wirkungslos verhallen.

Aber nicht nur Lasterhaftigkeit, Sprachgebrauch und Kirche nimmt der Autor aufs Korn. Gleichzeitig kritisiert er auch, daß viele rechtschaffene Deutsche sich immer noch die Franzosen zum Vorbild nehmen, die in Wahrheit hinter ihrem Geist und Verstand, den sie nach außen hin zeigen, Verlogenheit verbergen. So ruft der Autor zur Wahrhaftigkeit und zur Wertschätzung des Ursprünglichen, das nur gemein erscheint, auf.