Lessings „Die Juden“ sorgt für Aufregung

Muss die Zensur neu überdacht werden?

Das Publikum, welches letzte Woche im Berliner Stadttheater der Aufführung des 1749 fertig gestellten und 1754 erstmals gezeigten Lustspiels „Die Juden, verfaßt von dem bekannten Gotthold Ephraim Lessing beiwohnte, spendete nur spärlichen Beifall. Das Auditorium samt den anwesenden Stadtherren von Berlin sprach sich gegen die positive Darstellung des Juden in diesem Stück aus. Solche Charaktere wie in diesem Lustspiel stellten die Christen in ein schlechtes Licht, hieß es weiter. Laut Aussage der Stadtoberen werde man  nun überlegen, ob ein Verbot des Stückes als Konsequenz in Betracht ziehen zu sei. Das wäre ein herber Rückschlag für alle Bemühungen um mehr Toleranz zwischen Religionen und um die Emanzipation der jüdischen Bevölkerung in unseren Ländern.

 

 

Der Autor des Stücks "Die Juden", Gotthold Ephraim Lessing, bekleidet nunmehr die Stelle eines Bibliothekars in Braunschweig

 

 

Die heute allumfassende Zensur ist zum leidigen Mittelpunkt der Diskussionen in unserer literarischen Welt geworden. Die Hauptargumente für die Zensur eines Stückes sind meist religiöser, politischer oder moralischer Art.

 

Politische Gründe für die Zensur sind (Landes-) Verrat und Verleumdung. Im Bereich der Moral spricht man von Sittenlosigkeit, Sittenzerfall und hat vor allem obszöne Darstellungen im Visier.

Im religiösen Bereich sind es Gotteslästerungen und Beschimpfungen von religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnissen, die zensiert werden. Als beste Beispiele dienen hier die Werke von Kopernikus und Galilei, die nur deshalb indiziert wurden, weil ihre Aussagen nicht anhand der Heiligen Schrift beweisbar waren.

 

 

Prominente Opfer von Zensur und Inquisition:

Kopernikus (links) und Galileo Galilei (rechts). Ihr Beispiel zeigt, daß auch Zensoren sich irren, sind doch ihre Erkenntnisse mittlerweile Allgemeingut unseres Wissens geworden.

 

 

Die Kirche vertritt die Meinung, dass das Ziel eines jeden Autors die Disziplinierung des Volkes sein solle. Besonders während des 30-jährigen Krieges, in dem der Verfall von Moral und Sittlichkeit aufgrund der anhaltenden katastrophalen Verhältnisse immens war, wurde die Zensur zu einem festen Bestandteil des Lebens, dessen Auswirkungen  auch noch heute, oder vielleicht gerade heute im Jahr 1770, spürbar sind.

Bestrebungen, die herrschenden Zensurbestimmungen zu verschärfen, muß entschieden entgegengetreten werden. Statt dessen sollte man die Bewertung der moralischen Qualität von Literatur dem geneigten Publikum, das sehr wohl seinen eigenen Verstand benutzen kann, überlassen.

Gleiches gilt in Bezug auf religiöse Auseinandersetzungen in der Literatur, den wenn Gott wollte , dass die Menschen kritiklos den Lehren der Kirche und der Obrigkeit folgten, hätte er ihnen nicht die Fähigkeit zu freien Entscheidungen gegeben.

Sebastian Müller

Wovon handelt das Lustspiel "Die Juden" von Gotthold Ephraim Lessing?

Das Stück handelt von einem unbekannten Reisenden, der von einem Baron, der ihn bei einem nächtlichen Raubüberfall vor Ausplünderung bewahren konnte,  als Gast aufgenommen wird. Die beiden unerkannten Räuber, Vogt Martin Krumm und Michel Stich, die seit Jahren im Dienst des Barons stehen, entkommen und versuchen nun, den Verdacht auf die in der Nähe des Guts lagernden Juden zu lenken. Martin Krumm, der sich bei dem Reisenden scheinheilig nach den näheren Umständen erkundigt und ihm dabei eine Silberdose entwendet, beschuldigt die Juden des ungeglückten Verbrechens, denn sie seien alle Betrüger, Diebe und Straßenräuber. Der Reisende widerspricht jedoch dieser generellen Diffamierung.
Der Baron kann den Reisenden schließlich doch noch zum Bleiben bewegen, um ihm seine Gastfreundschaft zu zeigen. Außerdem hat auch seine Tochter lebhaftes Interesse an dem Fremden gefunden, und so beauftragt der Baron Lisette, die Zofe, genauere Auskünfte über ihn einzuholen. Lisette, die inzwischen die silberne Tabakdose von Martin Krumm als Geschenk erhalten hat, verspricht sie Christoph, dem Bedienten des Gastes,

wenn er das Inkognito seines Herrn zu lüften bereit ist. Christoph zögert angesichts des Wertgegenstandes nicht, der Zofe eine frei erfundene Geschichte zu präsentieren, da er selbst - erst kurz im Dienste des Unbekannten - keine Ahnung um dessen Person hat.

Als der Reisende den Verlust seiner Tabakdose bemerkt und Martin Krumm verdächtigt, unterzieht sich dieser bereitwillig einer Leibesvisitation. Dabei kommen jedoch zwei falsche Judenbärte zum Vorschein, die er und sein Komplize während des Überfalls getragen haben. Als der Reisende schließlich die Dose in den Händen seines Bediensteten wiederfindet, werden die beiden Übeltäter durch Zurückverfolgung des "Tauschweges" überführt.
Der dankbare Baron bietet daraufhin dem Fremden sein Vermögen und die Hand seiner Tochter an, was der Fremde jedoch ausschlägt, als er das Geheimnis um seine Person lüftet: er ist Jude! Der anfänglichen Enttäuschung des Barons folgt jedoch mit Bewunderung gemischte Hochachtung. Diese Reaktion zeigt auch Christoph nach der Überwindung seiner Empörung, als Christ einem Juden gedient zu haben.

Bild des guten Juden in Lessings Stück „Die Juden“

Aufgrund der  Kritik in einer Zeitung, Lessings Jude sei zu vollkommen und daher allzu unwahrscheinlich, was das Vergnügen an dem Stück mindere, schreibt Lessing selbst eine Gegenargumentation, in der er die Rolle des advocatus diaboli einnimmt. Es sei nicht unmöglich, aber doch zu unwahrscheinlich, einem  solchen  guten Juden zu begegnen, ja es sei schon schwer, auch nur einem mittelmäßig Tugendhaften zu begegnen.
Die Ursache für die Vorurteile besteht für  Lessing darin, dass die Juden nur vom Handel leben können. Seufze ein Volk unter solcher Verachtung, so sei die Annahme, ein Jude könne nicht tolerant oder gar menschenfreundlich sein, völlig legitim.

Doch könnten durch Beseitigung dieser

Umstände, unterdrückt zu werden und dazu gezwungen zu sein, das Geschäft des Handels zum Leben auszunutzen, nicht genauso redliche Juden wie Christen entstehen? Laut Lessings Gegnern ist das unmöglich, da die Schlechtigkeit schon in der Erziehung, Lebensart und den Grundsätzen verankert liege. Doch Lessing versucht genau mit diesem Vorurteil aufzuräumen: Er läßt den Juden reich sein. Somit ist er nicht gezwungen, mit dem Handel zu betrügen. Außerdem ist er belesen, also klug.
Lessing weist in seiner Entgegnung schlußendlich darauf hin, daß  ein so vollkommener Charakter wie der des Reisenden generell unter den Juden wie auch den Christen selten zu finden sei.

Die Situation der Juden im 18. Jahrhundert

Schon im Mittelalter wurden die Juden diskriminiert, unterdrückt, vertrieben oder gar grausam verfolgt und ermordet.  

 

 

Judenverbrennung im Mittelalter

 

Unter der Herrschaft von Papst Innozenz III. (1160-1216) verschlimmerte sich die Lage zusehends. Den Juden wurde die Ausübung verschiedener Berufszweige versperrt. Letztlich blieb ihnen nur die Ausübung des Geldverleiherberufs1.  

 

 

Jüdischer Geldverleiher. Die Abhängigkeit der Christen von den jüdischen "Bankiers" steigerte die Vorurteile weiter.

 

Damit die Juden von den Christen unterscheiden werden konnten, hatten die Juden Symbole an ihrer Kleidung anzubringen. Typisch ist der runde, nach oben hin spitz zulaufende gelbe Hut, den alle männlichen Juden zu tragen hatten2.  

 

 

Nach der Kleiderordnung an den Hüten als Juden erkennbare Männer

 

 

Selbst der große Reformator Martin Luther stand den Juden feindlich gegenüber, da sie sich seiner Meinung nach ungerechtfertigterweise allen Versuchen der Bekehrung zum christlichen Glauben widersetzen. Nur ein zum Christum übergetretener Jude konnte Luthers Meinung nach ein guter Jude sein. 

 

 

Luthers Schrift gegen die Juden, mit der er zum Fortleben aller Vorurteile beitrug

 

 

Bis in unsere Gegenwart hinein hat sich die Situation der Juden nur in kleinen Teilen gebessert.

Lange Zeit blieb den Juden nur der Geldhandel, doch auch diese Berufssparte wurde den Juden aufgrund der Konkurrenzbefürchtungen von christlichen Geschäftsleuten mehr und mehr untersagt. So kam es, dass jüdische Händler sich nun nur noch auf den Handel mit Trödelwaren beschränken mussten3.

Am Beispiel von Wildeshausen, einer kleinen Stadt im Kurfürstentum Hannover, erkennt man, welchen Bestimmungen die jüdische Bevölkerung unterliegt, damit sie in die Stadt ziehen kann und dort letztendlich auch leben darf.

Die Regierung in Hannover erließ im Laufe des 18. Jahrhunderts fünf „Schutzbriefe“ (Geleitbriefe), die es den darin genannten Juden und ihren Familien ermöglichen, in Wildeshausen zu leben und zu arbeiten4. Jeder Jude geht mit einem solchen Schutzbrief eine Reihe von Verpflichtungen ein:  

  • Der Schutzbrief gestattet nur dem Antragsteller, seiner Frau und den aus dieser Ehe hervorgegangenen unverheirateten Kindern den Aufenthalt am Ort.  

  • Der Schutzbrief schützt diese Familie vor Willkür und Gewaltmaßnahmen.

  • Der Schutzjude verpflichtet sich im Gegenzug zu tadellosem Verhalten gegenüber der Obrigkeit und allen ihren Repräsentanten.

  • Der Schutzbrief ist auf 10 Jahre befristet, kann aber nach Ablauf dieser Zeit verlängert werden.

  • Bei Ausstellung des Schutzbriefs wird eine Gebühr fällig sowie jährlich ein Schutzgeld, das an die Stelle der sonst üblichen Leibzollzahlung tritt.

  • Ein Jude hat keinen Zugang zu zünftigen Berufen, öffentlichen Ämtern oder Immobilienbesitz. Andererseits wird er aber wie jeder andere Bürger zur Beteiligung an den städtischen Lasten herangezogen. Sogar Ausgleichszahlungen an die evangelische Gemeinde wegen entgangener Gebühren bei Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen muss er leisten!

  • Der Text des Schutzbriefs geht im Übrigen ausführlich auf die Haupt-Berufsfelder ein, die Juden zugestanden werden: den Geldverleih und das damit zusammenhängende Pfandgeschäft sowie das Schlachten und den Fleischverkauf5.

Die Juden die Lessing bei seinem Werk „Die Juden“ im Auge gehabt haben dürfte, entsprechen diesem Bild.

Ein weiteres Beispiel bildet Sachsen. An Sachsen erkennt man den gescheiterten Versuch, den Staat judenfrei zu halten. Der Grund für das Nichtgelingen bestand darin, dass sich finanzkräftige Juden in der Region niederließen, die förderlich für die dortige Wirtschaft waren. Diesen Juden wurde im Nachhinein das Aufenthaltsrecht und die Handelsfreiheit durch den Kürfürsten von Sachsen gewährt. Gleichzeitig bereicherte er sich durch Sonderabgaben an ihnen6.

Zur Verbesserung der Juden trug Friedrich II., den wir jetzt schon den Grossen nennen, entscheidend bei.  In seinem als Toleranzedikt bekannten Reglement gewährt er den Juden nicht nur, wenn auch eingeschränkt, Aufenthalt, er unterteilt die in seinem Staate lebenden Juden in sechs Klassen:

  • Zum einen gibt es die „Generalprivilegierten“, die christlichen Kaufleuten gleichgestellt sind.

  • Des weiteren gibt es die „ordentlichen Schutzjuden“, welche ihren Schutzbrief an zwei Kinder weitervererben können. 

  • Die „außerordentlichen Schutzjuden“ hingegen dürfen nur einem Kind den Schutzbrief übertragen , und das auch nur, wenn es mit 1000 Talern ausgestattet ist.

  • Die drei unteren Gruppen bestehen aus den privat und öffentlich Bediensteten und den „Tolerierten“, die leidlich geduldet werden, und über keinerlei Rechtsansprüche verfügen7.  

Druck des Judenreglements Friedrichs II. vom 17. April 1750

 

 

All diese Punkte machen eine völlige Integration der jüdischen Bevölkerung unmöglich.

Die einzige Möglichkeit zur Integration besteht in der Beseitigung der Vorurteile, was eine öffentliche Diskussion voraussetzt. 

Jedoch lassen sich leider nur wenige Bürger auf eine Bekanntschaft mit einem Juden ein, da die Vorurteile die Neugier überschatten8.

Sebastian Müller

Anmerkungen der Herausgeber des Nachdrucks:

1 www.geschi.de/artikel/judenmittelalter.shmtl, Zeile 12 ff.

2 www.lgd.de/projekt/judentum/kleiderordnung.htm, Zeile 9 f.

3 www.hausarbeiten.de/rd/archiv/deutsch/deutsch-text406/deutsch-text406.shmtl

Die Situation der Juden im 18.Jahrhundert, Z. 8 ff.

4 www.ni.schule.de/~pohl/unterricht/de/afrank/jhist2.htm

5 ebda.

6 www.hausarbeiten.de/rd/archiv/deutsch/deutsch-text406/deutsch-text406.shmtl

Die Situation der Juden im 18.Jahrhundert, Z. 3 ff.

7 http://www.preussenchronik.de/thema.jsp?key=Thema_Juden+in+Preu%DFen+

8 www.hausarbeiten.de/rd/archiv/deutsch/deutsch-text406/deutsch-text406.shmtl

Die Situation der Juden im 18.Jahrhundert, Z. 21 ff.