Sind unsere Autoren jetzt „frei“? |
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Eigentlich
sollten Autoren schreiben dürfen, was sie wollen; so kennen wir es
heutzutage. Doch vor einigen Jahren sah das noch anders aus. Es ist eine
Freiheit mit langer Geschichte. Autor
und Publikum stehen in einer engen Verbindung zueinander: Autoren
schreiben, das Publikum liest. Ohne einander können sie nicht sein.
Autoren liefern dem Publikum den nötigen Lesestoff, sind aber
gleichzeitig auf ein breites Publikum angewiesen. Mit dem Strukturwandel der Öffentlichkeit in den letzten Jahrzehnten war nicht nur die Abkehr von der höfisch verankerten Dichtung verbunden, sondern es ergaben sich wesentliche Konsequenzen für die Situation der Schriftsteller. Das Zeitalter des Hofdichters mit einem festen Gehalt ging zu Ende; an seine Stelle trat der freie Schriftsteller, der von seiner dichterischen Arbeit zu leben versuchte. Dies hat nicht nur den Vorteil der geistigen Unabhängigkeit von fürstlichen und geistlichen Geldgebern, sondern den Nachteil der Unsicherheit des Einkommens. So kann kaum ein Schriftsteller nur vom Produkt seiner Arbeit leben, er muss sich nach Nebeneinkünften umsehen und kann deshalb nur in seiner Freizeit schreiben. Eine weitere Einschränkung für die neu erworbene Freiheit der Schriftsteller, ist die in den meisten deutschen Staaten herrschende Zensur.
Der ständisch gebundene Dichter. Athene, die Göttin der Weisheit, beschirmt den gelehrten Autor, dem die Musen und im Vordergrund die Genien huldigen. Die hochgelegene Position mit dem weiten Ausblick auf das bewirtschaftete Land symbolisiert die führende Rolle und den Überblick, die der Autor für sich in Anspruch nehmen kann.
Finanzielle Misere und Zensur sind nicht nur die einzigen Faktoren, die den Schriftsteller in seiner geistigen Freiheit beschneiden; hinzu kommt die Herausbildung des literarischen Marktes. Dies hat zur Folge, dass sich die Autoren an den Markt und vor allem an den Geschmack des Publikums anpassen müssen. Literatur wird demnach also zur „Kaufmannsware“, der Schriftsteller zum „Lohnarbeiter“. Die Abstufungen in der wirtschaftlichen Stellung des Schriftstellers reichen dabei vom verlagsabhängigen Lohnarbeiter bis zum selbstständigen Warenproduzenten. Darüber hinaus ist es äußerst gravierend für die Autoren, dass sie nicht Eigentümer ihrer Schriften sind, denn das Eigentumsrecht liegt bei den Verlegern, die mit den Schriften willkürlich umgehen können. Die Frage nach dem geistigen Eigentumsrecht, welches eigentlich bei den Autoren liegen soll, drängt sich zunehmend auf. So werden durch das Nachdruckunwesen beliebte und gefragte Bücher durch findige Buchhändler ohne Rücksicht auf Verleger- und Autorenrechte gedruckt. Autoren in dieser Zeit sind also völlig rechtlos und leben in einer ungesicherten Situation; sie sind den Gesetzen des |
Der freie Autor ist auf die Arbeit in seiner Stube angewiesen, um seine Existenz zu sichern.
Marktes
schutzlos ausgeliefert. Dazu kommt, dass sich die Autoren mit einem
starken Konkurrenzkampf auseinandersetzen
müssen. Es gelingt nur wenigen Autoren, sich auf dem literarischen Markt
zu behaupten. Das gelingt nur, wenn sie sich zum größten Teil dem
Geschmack des Publikums anpassen, oder wenn ihre Werke durch besondere
Originalität auffallen. Der Raum für eigene Gedanken und
eigenen Stil ist begrenzt, die Vorlieben des Publikums haben
Vorrang. Diese Vorlieben haben sich jedoch nur langsam auf ein allgemeines
Publikum hin entwickelt. Erst langsam bilden sich beim Publikum klare
Grundideen und Geschmacksrichtungen heraus. Innerhalb des Publikums
existiert ein hoher Grad an Individualisierung; so entsteht eine
Diskussions-, ja sogar literarische Streitkultur. Dadurch kommen neue und
kreative Denkanstösse für die Autoren zustande. Die
soziale Stellung des Einzelnen spielt erst seit einigen Jahren keine Rolle
mehr, zuvor konnte man das Publikum in vier idealtypische Leserkreise
einordnen. Die erste Gruppe bildet das adlige Publikum, welches sich
historisch-politische Literatur als Unterhaltung beim Ankleiden oder in
stillen Stunden vorlesen lässt. Eine weitere Gruppe stellen die gelehrten
Leser, welche dem Akademiker-Stand oder dem akademisch gebildeten Bürgertum
angehören. Sie sind Einzelgänger, die sich aus reinem Wissensdurst
bilden. Weiterhin gibt es bürgerliche wie auch ländliche Familien, die
lediglich an Sonntagen oder nach getaner Arbeit ein Buch lesen. Hier ist
es meist der Familienvater, der seine Frau, seine Kinder und sein Gesinde
durch Vorlesen unterrichtet. Den letzten Bereich bildet die Gruppe der
geselligen Leser: Befreundete Personen beiderlei Geschlechts treffen sich
zum gemeinsamen Zeitvertreib. Auch hier wird vorgelesen. Erst
heute bilden sich Autorenschaft und Publikum
als Träger literarischen Lebens und selbstbewusste Gruppen heraus. Mit
der Vergrößerung der Zahl der Lesenden wächst auch die der
Schreibenden. Damit überwindet die Literatur nach und nach die Anbindung
an die Gelehrsamkeit und beginnt sich nach den Bedürfnissen und Ideen der
literarisch Interessierten selbst zu richten. Die Herausbildung von freien
Autoren und einer eigenständig urteilenden Leserschicht bedeutet das Ende
der Vorherrschaft poetischer Regeln. Aus
Sicht der Leserschaft ist die entstandene Vielfalt der jährlichen
Neuerscheinungen sowie der Literatur generell ohne Zweifel als anregend
und beglückend zu beurteilen, auch wenn unsere Obrigkeiten nicht durchweg
mit dieser Entwicklung einverstanden sind. Es wird weiter zu beobachten
sein, inwieweit sich eine Vielzahl an Schriftstellern auf dem Markt behaupten und von den Erträgen
ihrer geistigen Tätigkeit leben kann. Von fortschrittlicher Obrigkeit
erwarten wir in der Zukunft durchaus bessere Gesetze zum Schutz der
Autoren1,2. Björn Stappert und Carolin Hammad |
Anmerkungen der Herausgeber des Nachdrucks:
1 vgl. Wolfgang Beutin u.a., Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, 5. überarb. Aufl. Stuttgart 1994, S. 122 ff.
2 vgl. Baasner/Reichard, Autor - Selbstverständnis.- In: Epochen der deutschen Literatur. Aufklärung und Empfindsamkeit, Stuttgart 2000 (CD-Rom)